Untersuchung von alten Bauwerken

Die ältere Forschung ist bei der Festlegung von antiken Maßeinheiten sehr weitgehend von der Vermessung von alten Bauwerken der jeweiligen Kulturperiode ausgegangen. Diese Quellengattung ist jedoch nur dann akzeptabel, wenn keine anderen Quellen vorhanden sind. Die Gründe dafür sind folgende:

1. Während antike Maßstäbe mit einer Genauigkeit von +/- 0,2 % festliegen, sind alte Bauwerke, selbst wenn sie mit großer Sorgfalt errichtet wurden (klassische Zeit, Romanik), nur auf +/- 0,4 % genau ausgeführt. Auch heute wird am Bau nicht genauer gearbeitet.

2. Selbst wenn eindeutig klar ist, welche Distanzen der antike Architekt vermessen wissen wollte, unterliegen solche Distanzen folgenden Fehlern: fehlerhafte Maßstäbe der Bauführer resp. -handwerker in der Antike, ungenaue Ausführung der Vorgabe, spätere Veränderung der Distanz durch Erdbeben, spätere Veränderung der Distanz bei Reparaturen, spätere Veränderung der Distanz durch Verwitterung, ungenaues heutiges Aufmaß, ungenauer heutiger Maßstab.

3. Wenn nur wenige Maße von einem Bauwerk genommen werden, kann es durch Koinzidenz oder Fast-Koinzidenz zu einer falschen Interpretation kommen; beispielsweise ist die Länge einer Tempelfront meistens glatt in mehreren antiken Maßeinheiten ausdrückbar. Das führt dann zu weitreichenden Fehlern, wenn der Archäologe nicht in der antiken Metrologie bewandert ist. (Manchmal wird für jeden neu untersuchten Bau eine eigene Maßeinheit angenommen!)

Das Megalithische Yard MY ist von A. THOMnur durch die Vermessung von Megalithbauten aufgefunden worden, denn aus der Jungsteinzeit gibt es keine Maßstäbe. Allerdings wurden dazu die aufgenommenen Maße von mehr als 200 Objekten untersucht, wobei jedes Objekt mindestens zwei Maße beisteuerte, oft mehr. Die Auswertung erfolgte nach den Methoden der wissenschaftlichen Statistik.

Die Identifizierung des MY an bandkeramischen und anderen Hausgrundrissen konnte sich auf die Untersuchungen an den Megalithbauten stützen, d. h. die Maßeinheit musste nicht neu aufgefunden werden.

Zur Untersuchung von aufgemessenen Daten gibt es heute fünf mathematische Verfahren, die auf Computern installiert sind und jeweils einem anderen mathematischen Ansatz folgen:

THOM benutzte zunächst ein Verfahren, das der Biometriker BROADBENT zu einem anderen Zweck ausgearbeitet hatte. Nachdem auch noch die Daten der Bretagne hinzugekommen waren und die metrologischen Untersuchungen ein breiteres Interesse gefunden hatten, hat der englische Mathematiker KENDALL ein neues Verfahren entwickelt, das auf der Fourier-Analyse beruht. RASCH benutzt bei der Untersuchung von bandkeramischen und sonstigen Grundrissen einen modifizierten Chi2-Test. Für die Untersuchung von Grundrissen antiker und romanischer Bauten benutzt ROTTLÄNDER u. a. ein Verfahren, das die Standardabweichung und die Ist-Soll-Differenz minimiert. Im Rahmen der Projektgruppe MMM hat DIETZ jüngst ein weiteres Verfahren entwickelt, dem die Maximum-likelihood-Schätzung zugrunde liegt. Für einen Datensatz sollten zur gegenseitigen Kontrolle immer mehrere Verfahren eingesetzt werden.

Immer sollte ein Datensatz von mindestens 20 aufgemessenen Distanzen zur Verfügung stehen. Heute dienen diese Verfahren nicht mehr dazu, neue Maßeinheiten zu etablieren, sondern zu ermitteln, welche bereits bekannte antike resp. vormetrische Maßeinheit an einem Bauwerk benutzt worden ist.

Die neueren metrologischen Untersuchungen haben zu der Erkenntnis geführt, dass seit dem Mittleren Reich Ägyptens in der Regel die Bauwerke anhand eines Rasters aus Quadraten oder gleichseitigen Dreiecken entworfen worden sind.

Während in ihrer Anfangszeit die Metrologie aus der Bauforschung (und aus alten Gewichten und Münzen) die Längen der Maßeinheiten ableitete oder abzuleiten versuchte, kann heute die etablierte Metrologie in der Bauforschung zur Aufdeckung der alten Maßeinheit und zur Trennung von Bauphasen eingesetzt werden, wenn mit den Bauphasen, wie häufig zu beobachten, ein Wechsel der Maßeinheit einhergeht.

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© R. C. A. Rottländer, r.c.a.rottlaender@netcologne.de

Stand Januar 2006